Zitat
Kambodscha: Online-Betrug und Menschenhandel
Mittagszeit. Kay kann sich einen Imbiss bestellen. Wir treffen den 21 Jahre alten Thailänder in einem Vorort von Bangkok. Essen, Trinken, sich frei bewegen – für ihn sehr kostbar. Was er erlebt hat, was er erzählt – wir können es zuerst kaum glauben. "Ich wurde gefoltert. Und ich wollte nur noch zurück nachhause. Ich musste zwölf Stunden arbeiten, hatte höchstens fünf bis sechs Stunden Pause, manchmal musste ich durcharbeiten. Wenn ich das gesetzte Ziel nicht erreicht hatte, ließen sie mich nicht mal essen."
Fürchterliche Erinnerungen, an einen Job, der zunächst so verheißungsvoll angepriesen wird. Im Nachbarland Kambodscha soll er für guten Lohn die Webseite eines Casinos betreuen. Aber die Aufgabe im Casino gibt es gar nicht. Eine Falle. Er wird in ein kriminelles Call-Center gebracht und soll nun vorsätzlich Menschen betrügen. Von Unschuldigen Geld erpressen. "Ich musste mich da am Telefon als Polizist ausgeben. Ich hatte von den chinesischen Chefs eine Liste mit thailändischen Opfern erhalten, die ich dazu bringen musste, Geld zu überweisen. Sie hatten da diese Liste mit Namen und Adressen."
In den Händen chinesischer Krimineller
Wahllos irgendwelche Namen. Er muss Menschen in Thailand zu Opfern machen, und ist selbst ein Opfer Kay. Er zeigt uns seine Narben, die er davongetragen hat. Die seelischen können wir nur erahnen. Vor allem, wenn Kay versucht, sie wegzulächeln. "Ich musste 150 Opfer am Tag erpressen. Das ist sehr viel. Wenn ich das Geld nicht reingebracht hatte, dann gab es Ärger. Dann wurde ein Übersetzer geholt, ich habe thailändisch gesprochen und sie chinesisch. Und dann sind sie aufgestanden und haben mich mit Holzstöcken geschlagen."
Kay der Thailänder gerät in Kambodscha in die Hände von chinesischen Kriminellen. Es klingt nach einer unglaublichen Geschichte – doch sie geschieht in Südostasien im großen Stil. Menschen werden in sogenannten Betrugsfabriken festgehalten und zu Online-Straftaten gezwungen. In den vergangenen Jahren ist Kambodscha zum Zentrum dieser organisierten Kriminalität geworden. Schreibtische, Computer, Handys – mehr braucht es nicht. Ein Schlafsaal gleich nebenan. 24 Stunden im Griff des Arbeitgebers.
Wir verabreden uns in Kambodscha mit einer, die die Betrugs-Mafia kennt. Wir nennen sie Jackie. Sie möchte unerkannt bleiben. Jackie arbeitet für eine Hilfsorganisation, die Menschen aus den Betrugsfabriken befreit. Sie erklärt uns, wie die kriminellen Banden mit Menschen handeln: "Die Menschen werden buchstäblich verkauft. Die Betreiber dieser Betrugsfabriken kennen sich untereinander und schieben sich die Leute gegenseitig zu. Ich habe hier zwei Vietnamesen, 30.000 Dollar, und hier noch zwei Inder. Kann jemand sie gebrauchen und mir abkaufen?" Jackie zeigt uns einen Gebäudekomplex in der Küstenstadt Sihanoukville, in dem Menschen festgehalten wurden. Im sogenannten Chinatown, einer Hochhaussiedlung etwas außerhalb des Stadtzentrums. "Das wird betrieben wie ein Gefängnis. Und sie stecken eine Menge Geld in Wachleute, auch in Waffen. Und natürlich in Gitter und Zäune."
Verbindung zwischen Menschenhandel und Cyberkriminalität
Bei den Vereinten Nationen in Bangkok, Abteilung Kriminalitätsbekämpfung: Hier haben Benedikt Hofmann und sein Team recherchiert, dass allein in Kambodscha mehr als 100.000 Ausländer in den vergangenen Jahren verschleppt wurden, angeworben von angeblich lukrativen Jobangeboten. "Das ist moderne Sklaverei. Es gibt eine Verbindung zwischen Menschenhandel und Cyberkriminalität in dieser Region. Und das ist mehr geworden. Das ist beunruhigend", sagt Hofmann.
Online-Betrug ist profitabler als Drogenhandel. Mit seinem Team hat er errechnet, dass so bis zu 12,5 Milliarden Dollar pro Jahr allein in Kambodscha erbeutet werden. Fast die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts. Und die Kriminellen erobern gerade von Südostasien aus auch den europäischen Raum, bis nach Deutschland. "Eine Sache ist dabei besonders beunruhigend: die Vernetzung der Kriminellen aus unterschiedlichen Teilen der Welt. Das beobachten wir gerade. Und das Problem wird noch zunehmen in Zukunft."
Und auch die Brutalität und Menschenverachtung kennt offenbar keine Grenzen. Wir erhalten verstörende Bilder, Handy-Aufnahmen von Bestrafungen. Zu hören sind die Schlagstöcke. Und: Ein Mitarbeiter – gefesselt – von zwei Seiten mit Elektroschocks malträtiert. Die Bilder stimmen überein mit den Schilderungen anderer Opfer.
Kambodscha hat Online-Mafia die Türen geöffnet
Der Kambodschaner Yong Samnang möchte sein Gesicht nicht zeigen. Aus Angst. Auch er hatte ein scheinbar lukratives Jobangebot angenommen, in Sihanoukville. Er wollte nicht mehr jeden Cent am Ende des Monats umdrehen müssen. Als ihm aber klar wird, dass Kriminelle ihn zum Betrügen eingestellt haben, will er kündigen. "Als ich um mein Gehalt gebeten habe, haben sie mir gesagt, dass das schon bezahlt sei. Ich war überrascht und fragte nach. Da haben sie geantwortet: Du wurdest von einem Kambodschaner zu einem Chinesen und dann zu einem anderen Chinesen verkauft." Er erfährt, dass er nicht einfach gehen kann. Der Chef habe Geld für ihn gezahlt, das seien nun seine Schulden, die müsse er erst abarbeiten. "Ich habe in den Raum reingeschrien: 'Wir werden hier alle betrogen.' Dann kam der Chef mit vier chinesischen Gangstern, die mich zusammengeschlagen haben. Da wurde allen in dem Raum klar, wir hatten das gleiche Schicksal, wurden alle verkauft. Sie kontrollieren sein Handy, aber in einem kurzen Moment traut er sich, einen Freund zu alarmieren, wird befreit.
In letzter Zeit deckt die Polizei in Kambodscha immer häufiger illegale Call-Center auf. Führt medienwirksam ausländische Arbeiter ab. Die Regierung möchte den schlechten Ruf loswerden, sie habe der Online-Mafia die Türen geöffnet. Und profitiere davon. Auch der Stellvertretende Gouverneur von Sihanoukville möchte nicht, dass mit dem Finger auf sein Land gezeigt wird. Und kann sich doch nur mit der eigenen Hilflosigkeit entschuldigen. "Die Kriminellen machen das online. Sie verstecken sich hinter legalen Geschäften wie zB Casinos. Wir müssen erst herausfinden, dass sie diese illegalen Online-Aktivitäten machen, das ist eine unserer großen Herausforderungen. Und da müssen alle zusammenarbeiten."
Kay aus Thailand kann in einem unbewachten Moment seine Mutter anrufen. Die organisiert Hilfe. Ein Video hält sein Glück fest, diesen einen Moment. Kay schafft es zu entkommen, über die Grenze. "Das traurigste ist, damit zu leben, dass ich soviele Menschen um ihr Geld gebracht habe. Arme Menschen wie wir." Kay wünscht sich Gerechtigkeit – für sich, aber auch für die betrogenen Opfer. Die Polizei in Bangkok hat ihn vorgeladen, als Zeugen vor Gericht. In einem Prozess gegen einen mutmaßlichen Drahtzieher der Betrugsmafia – das ist ein Hoffnungsschimmer für ihn. Für die Zukunft.
Autorinnen: Angelika Henkel/Christiane Justus, ARD-Studio Singapur
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